Die komplizierte Welt der Pflege in Deutschland

Düren kann mehr!

Die komplizierte Welt der Pflege in Deutschland

1. Juli 2020 Allgemein Kolumne 0

Man kann über Kritik reden oder neue Potenziale besprechen. Im Großen und Ganzen bedeutet beides das Gleiche.

Jedes System hat Fehler. Auch unser Gesundheitssystem. Die Fehler zeigen uns aber nicht, wie schlecht das System ist, sondern welche Verbesserungen man vornehmen kann, um diese zu beheben. Besonders im Bereich der Pflege gibt es derzeit viele Verbesserungspotenziale. Und es geht nicht nur um mangelnde Bezahlung, sondern um vieles mehr, was den Job attraktiver und leichter machen könnte. Dies möchte ich an einigen Aspekten zu Wort bringen.

Später bezahlen anstatt Prophylaxe: Aus Personalmangel wird eine teure Wunde

Ein Ablauf, den leider jede Pflegekraft kennt: Ein Bewohner kommt mit einem Dekubitus aus dem Krankenhaus zurück. Hierbei handelt es sich um eine Wunde durch mangelnde Druckentlastung, was dazu führt, dass das Gewebe nicht ausreichend durchblutet wird und dadurch abstirbt.
Im Ursprung ist der häufigste Grund dafür recht simpel: Personalmangel. Hilfsbedürftige Patienten können nicht aus dem Bett mobilisiert werden, und selbst die Zeit für eine regelmäßige Druckentlastung durch Lagerung fehlt. Und es passiert genau das, was nicht passieren darf.

Aber was sind die Folgen?

Zu allererst wäre da mal ein Patient, der nun eine Wunde hat und die damit zusammenhängenden Unannehmlichkeiten wie z. B. vor allem Schmerzen. Allein dies sollte natürlich Grund genug sein, solche unnötigen Fehler zu vermeiden. Hinzu kommt allerdings die Rechnung, die die gesparten Personalkosten im Gesundheitssystem schnell wieder revidiert. Die Versorgung der entstandenen Wunde fordert natürlich einen Personalaufwand: eine Kommunikation mit dem behandelnden Hausarzt, Verordnung von Rezepten sowie die Lieferung des entsprechenden Wundmaterials. Die Wunde muss dann regelmäßig versorgt werden, was je nach Tiefe der Wunde Wochen bis Monate dauern kann. Bei der durchaus schmerzhaften Behandlung kommt es zu erheblichen Kosten fürs Wundmaterial. Da dieses unter „Medizinische Produkte“ fällt, ist man schnell bei einem Kostenpunkt von 15 bis 20 Euro pro Versorgung angelangt. Am Ende führt dies zu höheren Kosten. Von den Schmerzen des Patienten ganz zu schweigen…

Ruhe und Freizeit =?

Dass es einen massiven Personalmangel in der Pflege gibt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Doch wie es aussieht, werden auch hier die Folgen oft unterschätzt. In einem Beruf, in dem sowohl physische als auch psychische Belastungen zum Alltag gehören, können Pflegekräfte, wenn bei Freunden, im Radio oder im Fernsehen von einem langen Wochenende mit Brückentag geredet wird, oft nur freundlich lächeln. In einem Rhythmus von einer oft verwendeten 6 Tage Woche gepaart mit einem 2 oder sogar 3 Schicht-System heißt das: 12 Tage arbeiten, um dann 2 Tage frei zu kriegen. Hier wird also eine Kunst gefordert, sich in 2 Tagen erholen zu müssen, um dann wieder bereit für die nächsten 12 zu sein, dazu mit dem Wissen, dass der bereits vorhandene Personalmangel die Aufgabe nicht leichter macht. Wenn dann die Kräfte langsam schwinden, geht`s erst richtig los: die erste Krankmeldung kommt. Die Kollegen müssen einspringen, es entsteht eine weitere Zusatzbelastung und im schlimmsten Fall verliert man auch noch die letzten 2 Tage frei. Genau dieser Prozess führt natürlich oft dazu, dass die nächste Krankmeldung durch Überbelastung für den nächsten Kollegen nicht lange auf sich warten lässt, wodurch wiederum eine ganze Spirale der dauerhaften Überbelastung besteht. Mit dem daraus entstehenden Mangel an Freizeit und Erholung werden dann noch Hobbys und soziale Kontakte eingeschränkt, welche zur Bewältigung der psychischen Anforderungen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Und dies erst recht, wenn man am Ende all dieser Anstrengungen noch nicht mal mit einem ruhigen Gewissen nach Hause gehen kann, dass man seine Patienten ihrer eigentlichen Bedürftigkeit entsprechend versorgt hat.

Wir sind noch im Mittelalter… der Umwelt zuliebe? Die Reise der Karten und Zettel

Am Anfang eines jeden Quartals geht das freudige Spiel für das Pflegepersonal wieder los. Die Versicherten Karten aller Bewohner und Patienten müssen wieder eingelesen werden. Alle Karten sollten zunächst nach Hausärzten sortiert werden, bevor dann ein Mitarbeiter des Hauses von Arzt zu Arzt fahren darf und die Arzthelferinnen der Praxen noch ein wenig mehr beschäftigen darf. Sobald dann alle Karten wieder eingelesen sind, müssen dann vor allem Rezepte und Überweisungen bestellt und natürlich auch wiederum entsprechend abgeholt werden. Bei Überweisungen geht die Reise dann weiter zum behandelnden Facharzt, natürlich darf auch hier die KV-Karte nicht fehlen, sonst gibt es noch keine vielleicht dringend benötigten Rezepte, und das Personal der Praxis ist auch wieder beschäftigt. Zusätzliche Fahrten zu Vertretungsärzten sind in diesem Programm noch nicht miteingerechnet. Das ist nicht nur unnötig aufwendig, sondern auch nicht umweltfreundlich. Dies ist ein Beispiel von vielen, an dem eine Digitalisierungskampagne nicht nur zur finanziellen und organisatorische Entlastung der im Gesundheitsdienst Tätigen, sondern auch der Patientinnen und Patienten ansetzen könnte.

Hilfsbedürftige Menschen als Business?

Eine Entwicklung, die man durchaus als sehr kritisch betrachten sollte. Passt es wirklich zusammen, dass immer mehr Investment-Gesellschaften als Träger einer Pflegestation fungieren, die daraus möglichst viel Kapital erwirtschaften wollen und dies mit allen Mitteln? Wie kann es sein, dass eine solche Gesellschaft Altenheime aufkauft, diese bis zum Maximum ausschlachtet und erst wenn dann viel zu spät eingegriffen wird, diese wieder abstoßen. Ist es richtig, dass Finanzmanager den Pflegekräften ihre Arbeit erklären wollen, wie viel Zeit ein Bewohner in Anspruch nehmen darf? Einrichtungen, in denen das Pflegepersonal seine letzten Kräfte mobilisiert, weniger eingeschränkte Bewohner in der Küche helfen müssen, Arbeitszeitgesetze vollkommen ignoriert werden, und am Ende das ganze Projekt trotzdem in der Überprüfung mit 1,0 bewertet wird. Eine 1,0, in der sich das Pflegepersonal jeden Tag entscheiden muss, welche Bewohner komplett gewaschen werden können oder besser im Bett bleiben, um Zeit zu sparen. Und wie soll man am Ende jemandem erklären, dass Bewohner über 4000 Euro monatlich für unzureichende Versorgung bezahlen, das Pflegepersonal am Ende seiner Kräfte ist, dass der Beruf einer Pflegekraft attraktiv und lohnenswert ist.

Darum zum Ende nur noch einmal die Frage: Sind für solche Träger, die damit nur Gewinne erzielen wollen, diese Menschen und ihre Helfer wirklich das wichtigste Ziel?

Sicher, nicht alle privaten Einrichtungen arbeiten nach diesem Schema. Den schwarzen Schafe aber, die es tun, muss nicht zuletzt auch durch eine verbesserte Aufsicht das Handwerk gelegt werden. Dabei dürfen nicht bürokratische Check-Listen den Ausschlag geben, sondern das Wohl der Patienten!